Vorweg: ich bin vorbelastet und ausgiebig therapiert.

Im Januar 2023 hatte ich eine aufwändige Kiefer OP – bimaxilläre Umstellungsosteotomie (BIMAX) oder auch bignathe Umstellungsosteotomie genannt. Das heißt: Oberkiefer nach vorn und Unterkiefer zurück. Außerdem wurden beide Kiefer horizontal gekippt und gedreht, der Oberkiefer verbreitert, wodurch eine größere Gaumenspalte entstand, welche dann ende August geschlossen wurde.

Nach über 7 Stunden OP und einem Tag künstlichem Koma wurde ich wieder mobil gemacht und vor den Spiegel gestellt. Ich wusste bereits, dass es kein Ponyhof werden würde. Aber die Konfrontation mit der Realität nach 2 Tagen Tiefschlaf und einem gutem Drogenlevel war nochmal eine andere Hausnummer.

Wer war das in dem Spiegel?

Total aufgedunsen. Durch die Gesichtsform ließ sich erahnen, dass das Bild vorher, von der Nasenwurzel abwärts, nicht mehr das von jetzt war. Dann das befremdliche Gefühl. Alles taub, freier Austausch aller Medien zwischen Nase und Mund. Vor allem die Zunge dachte sich: Wow, über mir endlose Weiten. So viel Platz hatte ich noch nie. Kurzum: Es hat sich alles monströs groß angefühlt. Trotz Gaumenplatte.

Als man mir noch erzählt hatte, dass nicht Donnerstag, sondern Samstag wäre, hat mich das völlig aus der Bahn geworfen. Ich habe es nicht geglaubt. Ich kam morgens in den OP, folglich musste es nachmittags sein. Guten Morgen Herr Pohlmann…

???

Durch die starken Medikamente und die Narkose schob ich den vollen Film. Reale Träume, in denen ich meine Identität verloren hatte, weder wusste wo ich bin, noch wann ich bin. Eine Person flüsterte mir zu: „Du bist nichtmehr“ – Bin ich jetzt tot?

Wie heiße ich? Wo bin ich?

Panik stieg in mir auf…

Viele Nächte, in denen Traum und Realität verschmolzen. Ich musste eine Maschinerie am laufen halten, um nicht zu ersticken. Die Wege zu den Hebeln und Schaltern waren umständlich. Soldaten haben mir geholfen. Die Schleimhäute waren zu, die Mundatmung verursachte alle paar Minuten heftige Hustenreize durch den offenen Gaumen. Der Kehldeckel war im Grunde nutzlos.

Nach drei bis vier Tagen Ernährung über Nasensonde wurde ich mit Suppe wieder an die selbstständige Nahrungsaufnahme herangeführt. Kein Gefühl im Mund, alles läuft überall hin.

Schlussendlich half mir meine Frau – wie bei einem Kleinkind – und ein Spiegel schrittweise über Wochen, wieder essen zu lernen. Und dann noch der Trick, dass 1. Nicht alles wieder aus der Nase läuft und 2. nicht einfach alles den Anderen Weg nahm. Das sprechen war anstrengend und man verstand mich kaum, da die meisten Laute durch die Nase huschten.

Die Depression lauerte mit frechem grinsen hinter der Leitplanke und wartete nur drauf, dass ich ihr näherkam. Ich war nicht sehr mobil, mein Körper war im „abgesicherten Modus“. Für einen Perfektionisten wie mich ganz schlimm. Und ja ich wusste das alles, ich wurde umfangreich aufgeklärt. Und ja, liebe Nachtschwester, ich habe es mir selbst ausgesucht. Aber nicht nur so zum Spaß!

Vier Jahre Vorbereitung. Kieferorthopädie, Implantate, eine weitere Extraktion eines Zahnes. Rund ein Jahrzehnt um überhaupt zu wissen, was ich mache und vor allem ob. An dieser Stelle muss ich sagen, wie dankbar ich meiner Familie, und allen voran meiner Frau bin, dass sie mich so unterstützt hat. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich voll in die Depression gerutscht. Viel hat nicht gefehlt, die Anzeichen waren da.

An was es mir gefehlt hat, war das Selbstvertrauen, die Zuversicht. Dass alles wieder besser wird. Aber Stunden haben sich wie zehn Stunden angefühlt, Tage wie Wochen. Rückblickend war es nicht lang.

Schlussendlich ist es ein Kampf zwischen Ratio und Emotio, welche bei jedem Menschen anders ticken.

Und wenn meine Emotio gewonnen hätte, wäre die Leitplanke nicht ohne Schaden geblieben…

Im April hatte ich nochmal eine OP – Kieferhöhlenentzündung.

Willkommen zurück. „Sie waren damals ganz schön durcheinander.“